Heilmittel-Richtlinie
Neue Heilmittel-Richtlinie ab 2021 – im Volltext
Was ist neu? Was ändert sich?
28.09.2019 • 43 Kommentare
Die Heilmittel-Richtlinie und der dazugehörige Heilmittelkatalog legen fest, wie Ärzte Heilmittel verordnen dürfen.
Nun hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Heilmittel-Richtlinie neu gestaltet, welche ab 1. Januar 2021 gelten soll.
Wir erläutern alle relevanten Änderungen und stellen den vollständigen Text vor.
- Was Sie ab Januar 2021 vergessen dürfen
- Regelfall
- Genehmigung
- Erst-, Folge- und Verordnung außerhalb des Regelfalles
- optionale Heilmittel
- Rezeptformular
- Ziffern hinter EX, WS und Co.
- Was ab Januar 2021 neu sein wird
- Verordnungsfall und orientierende Behandlungsmenge
- • aufgrund derselben Diagnose (erste drei Stellen des ICD-10-GM-Codes sind identisch)
• in derselben Diagnosegruppe laut Heilmittelkatalog
• bei demselben Patienten
• innerhalb der letzten sechs Monate - Mehrere vorrangige Heilmittel auf einer Verordnung
- Verschiedene Heilmittelprofessionen (z.B. Ergo- und Physiotherapie) bei gleichem Verordnungsfall
- Doppelbehandlung
- Blanko-Verordnung
Vergessen Sie das Wort „Regelfall“. Es wird keinen Regelfall mehr geben; dieser wird abgelöst werden durch den Verordnungsfall und die orientierende Behandlungsmenge. (näheres dazu s.u.)
Wo es keinen Regelfall mehr gibt, gibt es auch keine "Verordnung außerhalb des Regelfalles" mehr - ebenso wenig wie die Genehmigung dafür.
Die neue Systematik von Verordnungsfall und orientierender Behandlungsmenge beendet auch die unsägliche Unterteilung in Erst-, Folge- und Verordnung außerhalb des Regelfalles.
Es wird auch keine optionalen Heilmittel mehr geben. Zukünftig wird es nur noch vorrangige und ergänzende Heilmittel geben.
Das Rezeptformular in seiner bisherigen Form wird abgeschafft werden. Es wird ein einheitliches Formular für alle Heilmittel geben, also für Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, usw..
Es bleibt aber wie bisher bei einem Vordruck der Größe DIN A5 (im Gegensatz zu den Rezepten der Zahnärzte – diese sind DIN A4).
Bisher werden die Diagnosegruppen EX, WS, ZN, LY... mittels Ziffern in Untergruppen mit prognostisch kurz-, mittel- oder langfristigen Behandlungsbedarf unterschieden (EX1, EX2 / WS1, WS2 ...). Diese Unterscheidung fällt künftig (bis auf bei der Gruppe der sonstigen Erkrankungen - SO) weg. Es gibt also für Physiotherapie in Zukunft „nur“ noch: EX, WS, CS, ZN, PN, AT, GE, LY und die fünf Gruppen der SO.
Der Verordnungsfall ersetzt den bisherigen Regelfall. Zu jedem Verordnungsfall wird im neuen Heilmittelkatalog eine sog. orientierende Behandlungsmenge definiert, welche die Gesamtzahl aller Behandlungen zu diesem Verordnungsfall umfasst. Die maximale Anzahl der Behandlungen pro Rezept ist ebenfalls im neuen Heilmittelkatalog festgelegt.
Ein neuer Verordnungsfall tritt ein, wenn seit dem Datum der letzten Verordnung ein Zeitraum von 6 Monaten vergangen ist, in dem keine weitere Verordnung für diesen Verordnungsfall ausgestellt wurde.
Für die Frage „Neuer Verordnungsfall oder nicht?“ ist also künftig nicht mehr das Datum der letzten Behandlung wie in der alten „Regelfallsystematik“ maßgebend, sondern das Ausstellungsdatum des letzten Rezeptes. Außerdem setzt die neue Richtlinie die alte Forderung „Neuer Arzt gleich neuer Verordnungsfall!“ (§7 Abs. 3) um (Ausnahme: Zahnarztverordnungen).
Oder wie es die stets gut informierten KBV ausdrückt:
"Ein Verordnungsfall umfasst alle verordneten Heilmittel:
"
Wichtig ist zudem, dass zukünftig der Arzt bei medizinischer Notwendigkeit auch ohne großen Verwaltungsaufwand mehr als die orientierende Behandlungsmenge verordnen darf. Er muss diese medizinische Notwendigkeit lediglich in seiner Patientendokumentation festhalten und nicht wie bisher eine Begründung auf das Rezept schreiben.
Die maximale Behandlungsmenge pro Verordnung (meist 6 oder 10) kann auf bis zu drei verschiedene vorrangige Heilmittel aufgeteilt werden. Zusätzlich kann auch noch ein ergänzendes Heilmittel auf die Verordnung gesetzt werden.
Obwohl es ein einziges Formular für alle Heilmittelerbringer geben wird, müssen für diesen Fall getrennte Verordnungsvordrucke verwendet werden.
Bisher gelebte Praxis, aber eher in einem Graubereich, ist die Doppelbehandlung. Diese ist nun in Ausnahmefällen möglich.
Neu ist die seit langem diskutierte Blanko-Verordnung. Diese ist künftig 16 Wochen gültig, und zwar ohne Begrenzung
• der Behandlungsanzahl,
• der Frequenz und
• des Heilmittels.
Welche Indikationen hierfür in Frage kommen, müssen die maßgeblichen 17 Heilmittelverbände mit dem GKV-Spitzenverband erst noch vereinbaren.
Der in der Praxis sehr viel handbarere Grundsatz „Neuer Arzt gleich neuer Verordnungsfall“ scheint (evtl. nicht ganz unberechtigt) bei den Verantwortlichen die Angst vor einem sog. „Ärztehopping“ geweckt zu haben. Daher verpflichten sie den Arzt künftig eine Verordnung nur noch auszustellen, wenn er sich beim Patienten über bisherige Heilmittelverordnungen informiert hat.
- Rezeptbeginn
- Frequenz
- D1 und Massage
- Unterbrechungstatbestände
Bisher müssen Rezepte innerhalb von 14 Tagen begonnen sein. Diese Frist erweitert sich auf 28 Kalendertage. Es sei denn, der Arzt sieht einen dringlichen Behandlungsbedarf, dann beträgt diese Frist weiterhin 14 Kalendertage. Dazu müsste er dies aber auf der Verordnung kenntlich machen.
Kleines Berechnungsbeispiel: Bei einem Ausstellungsdatum 2.1. muss also die erste Behandlung spätestens am 30.1. erfolgen (der Ausstellungstag zählt also bei der Zählweise der 28 Tage nicht mit).
Zukünftig werden im Heilmittelkatalog Frequenzspannen (z. B. 1-3x wöchentlich) empfohlen. Diese Frequenzspannen haben allerdings lediglich Empfehlungscharakter; der Arzt darf, wenn er es für medizinisch begründet hält, kommentarlos davon abweichen.
Bisher waren die Heilmittel D1 und Massage auf 10 Einheiten pro Regelfall begrenzt. Künftig sind sie auf 12 Einheiten pro Verordnungsfall begrenzt.
Die alte Richtlinie ist in dieser Hinsicht rigoros: Eine Verordnung verliert bei einer Unterbrechung von länger als 14 Tagen ihre Gültigkeit. (Durch Rahmenvertragsvereinbarungen wurde dies manchmal wieder etwas abgemildert.)
Die neue Richtlinie macht hier „eine Tür auf“: Diese 14-Tages-Frist kann bei einer angemessenen Begründung zukünftig überschritten werden. Welche Begründung als angemessen zu werten ist, müssen die maßgeblichen Heilmittelverbände mit dem GKV-Spitzenverband erst noch vertraglich vereinbaren.
Kleines Berechnungsbeispiel: Fand also die letzte Behandlung am 2.1. statt, muss ohne eine angemessene Begründung die nächste Behandlung spätestens am 17.1. erfolgen (es zählen also die Tage der Nichtbehandlung).
- Wie bisher auch wird es weiterhin Langfrist-Verordnungen in Form von geben.
- Behandlungen in „tagesstrukturierenden Fördereinrichtungen“ sind nur für Patienten unter 18 Jahren möglich; aber nicht als Hausbesuch abrechenbar.
Wichtig: Paragraf 7, Abs. 6 regelt eindeutig, dass bei LHMB und BVB von Anfang an mehr als die zulässige Höchstmenge (z.B. 6 oder 10) auf einem Rezept verordnet werden darf. Die Behandlungsmenge ist allerdings so zu bemessen, dass das Rezept bei Einhaltung der verordneten Frequenz innerhalb von 12 Wochen abgearbeitet werden kann. Wurde auf dem Rezept eine Frequenzspanne angegeben, ist zur Ermittlung der 12-Wochenfrist der höchste Wert heranzuziehen.
Dem Vernehmen nach ist zurzeit noch eine Anlage 3 zu dieser Heilmittel-Richtlinie in Arbeit. In dieser soll zukünftig geregelt werden, in welchen Fällen und in welcher Form fehlerhafte bzw. unvollständig ausgestellte Verordnungen geändert werden müssen.
Aktualisierung vom 4.12.2019: Diese Anlage 3 wurde mittlerweile veröffentlicht. Sie finden sie hier auf Seite vier.
- Änderungen auf der Verordnung müssen stets vom Arzt mit Datum und Unterschrift bestätigt werden. Ausgenommen sind die Regelungen zu Frequenzänderungen und dem Wechsel Einzel- <=> Gruppentherapie. Hier reicht eine Dokumentation der Absprache(n) mit dem Arzt (ggf. auch Patient) auf dem Rezept durch den Therapeuten.
- Die Leitsymptomatik kann, muss aber nicht als Volltext auf der Verordnung vermerkt sein. Es reicht auch die buchstabenkodierte Form (a, b, c).
Mittlerweile hat der G-BA sich auch in Sachen Übergangsregelung festgelegt. Er beschloss Folgendes:
"Heilmittelverordnungen, die vor dem 1.Januar 2021 ausgestellt werden, behalten auch über den 1.Januar 2021 hinaus ihre Gültigkeit, bis alle Behandlungseinheiten dieser Verordnung erbracht wurden. [...] Bei allen Verordnungen, die ab dem 1.Januar 2021 ausgestellt werden, beginnt ein neuer Verordnungsfall. Das bedeutet: Heilmittelverordnungen, die für die gleiche Erkrankung vor dem 1.Januar 2021 ausgestellt wurden, müssen bei der Zählung der Verordnungseinheiten nicht berücksichtigt werden."
- Alle hier im Text getätigten Aussagen beziehen sich auf das Gebiet der Physiotherapie. Die Heilmittel-Richtlinie betrifft selbstverständlich auch die anderen Heilmittel-Professionen. Diese ebenfalls mit in diesen Bericht aufzunehmen, hätte den hier bewährten Rahmen allerdings gesprengt.
- Die komplette Heilmittel-Richtlinie in fließendem Volltext finden Sie hier.
Friedrich Merz / physio.de
Anmerkung:
In einer früheren Version des Artikel stand "Es dürfen bis zu drei verschiedene vorrangige Heilmittel auf einem Rezept verordnet werden, wobei die max. Anzahl der Behandlungen pro Rezept nicht überschritten werden darf." Dies führte mancherorts zu Missverständnissen. Wir haben dies nun präzisiert.
update vom 7. September 2020:
In einer älteren Version des Artikels wurde als Startdatum für die neue Heilmittel-Richtlinie der 1. Oktober 2020 genannt.
Da aber knapp die Hälfte der Anbieter nicht fristgerecht die aktualisierte Ärzte-Software bereitstellen konnte, wurde der Starttermin vom G-BA auf den 1. Januar 2021 verschoben.
Wir haben den Artikel daher dementsprechend angepasst.
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