An Elvis Presley lassen sich die Widersprüche Amerikas metaphorisch aufzeigen (2025)

Heute wäre er neunzig Jahre alt geworden. An dem amerikanischen Musiker lassen sich die Widersprüche seiner Heimat metaphorisch aufzeigen.

Jean-Martin Büttner

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An Elvis Presley lassen sich die Widersprüche Amerikas metaphorisch aufzeigen (1)

John Lennon, der als Engländer zum Ironischen und als Mensch zum Absoluten neigte, fasste die Widersprüchlichkeit seines Idols in zwei Sätze: «Vor Elvis war nichts», sagte der Beatle, der vom jungen Amerikaner schockartig inspiriert worden war. Und als Elvis Presley am 16.August 1977 starb, kommentierte Lennon mit derselben Lakonie: «Elvis starb an dem Tag, an dem er der Armee beitrat.»

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Biografie und Charakter des Sängers aus Tupelo, Mississippi, werden von ihren Gegensätzen auseinandergerissen. Elvis war beides: ein Revolutionär, der die amerikanische Kultur elektrisierte, und sein eigener Konterrevolutionär, der sich von Hollywood und in Las Vegas hat zähmen lassen. Und mit 42 Jahren in seiner Villa in Graceland an den Pillen zugrunde ging, die er sich verschreiben liess. Bei der Autopsie fanden sich Aufputschmittel, Beruhigungsmittel, Opiate und alle möglichen Medikamente, um die Nebenwirkungen der Drogen abzudämpfen. Sein Leichnam wog über 120 Kilo.

Dabei hatte der schöne junge Mann mit dem sinnlichen Mund und den schweren Lidern so gut angefangen. Unter dem brillanten Produzenten Sam Phillips, der schwarzen und weissen Musikern gleichermassen zugewandt war, gelang Elvis Presley Mitte der fünfziger Jahre die Legierung aus Blues und Country, schwarzer Sinnlichkeit und weisser Melancholie. Ein Weisser, der wie ein Schwarzer singen konnte: Nach einem solchen Musiker hatte Sam Phillips lange gesucht. Rock’n’Roll nannte man die explosive Mischung der Stile und Kulturen – schwarzer Slang für Sex.

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Und dann legte er los

Es passierte bei einer Pause im Sun-Studio von Memphis. Den ganzen Tag lang hatte Phillips mit Presley und seiner Band Songs und Stile durchprobiert. Der junge Mann konnte singen, keine Frage; aber nichts, was er vortrug, klang mehr als gut gelernt. Als der Produzent die erschöpften Musiker innehalten liess, nahm Elvis seine Gitarre und sang auf achtlose Art einen Song, der ihm wirklich gefiel: eine beschleunigte Version von «That’s Alright» des schwarzen Blues-Mannes Arthur Crudup. Das Original war sieben Jahre alt und klang schwer und dunkel, Elvis’ Interpretation wirkte locker und beschwingt.

Sam Phillips stand unvermittelt im Aufnahmeraum; er konnte nicht glauben, dass Elvis den Song überhaupt kannte: «Was macht ihr da?», fragt er. «Keine Ahnung», sagte Elvis. Phillips: «Macht das noch einmal, wir nehmen es auf.» Das war am 4.Juli 1954, einem Sonntag; mit diesen zwei Minuten sollte der 19-jährige Lastwagenfahrer das 20.Jahrhundert verändern.

Elvis Presley erotisierte die Musik der Weissen und konturierte die Musik der Schwarzen. Er klang schwarz und weiss, wirkte männlich und feminin zugleich, sang mit Leidenschaft und Humor, er war protestantischer und jüdischer, afroamerikanischer und indigener Abstammung. Elvis betörte als Charismatiker, der sang wie kein anderer. Und dazu tanzte er mit einer lasziven Eleganz, wie sie das puritanische Amerika noch nie gesehen hatte.

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Fataler Hang zum Unterwürfigen

Aber Elvis war es auch, der seinen eigenen Aufstand gegen die weissen Konventionen verraten sollte. Der naive junge Mann neigte zu einer unterwürfigen Haltung gegenüber Autoritäten, die bis zur Devotheit ging – und zu narzisstischen Wutausbrüchen, wenn ihm ein Wunsch verweigert wurde. Sein dualer Charakter wird oft mit Elvis’ tot geborenem Zwilling Jesse erklärt, mit dem der Überlebende sein Leben lang imaginierte Gespräche führte.

Zu seiner Devotheit passte, dass sich Elvis Presley, nachdem ihm dank Sam Phillips grossartige Aufnahmen gelungen waren, von einem Hochstapler blenden liess, der sich ihm als Manager andiente. Tom Parker hiess er und versprach dem in bitterer Armut aufgewachsenen Jungen, ihn zum Millionär zu machen. Und sich natürlich auch. Unter der autoritären Führung seines manipulativen Mentors ging Elvis Presley erst als Besatzungssoldat nach Deutschland, wo er eine Abhängigkeit von Amphetaminen und Beruhigungsmitteln entwickelte.

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Nach seiner Rückkehr wechselte er von Memphis nach Hollywood. Dort spielte er in fast drei Dutzend finanziell erfolgreichen, künstlerisch aber wertlosen Filmen eine Karikatur seiner selbst. Als Musiker gelangen ihm in den sechziger Jahren noch grossartige Interpretationen («Fever», «Long Black Limousine»), aber er produzierte auch solche weit unter seinem künstlerischen Wert («Aloha Oe»).

Die letzten Jahre verdämmerte der Sänger in Graceland im Beisein seiner Kumpanen. Er entfremdete sich immer mehr von seiner Frau Priscilla und konnte nicht verhindern, dass seine Tochter Lisa Marie ein zutiefst unglückliches, von Drogen und falschen Männern bestimmtes Leben führen sollte. Letzten Endes starb Elvis Presley, man kann es nicht anders sagen, an gebrochenem Herzen. Und zog als Dauergast ins Heartbreak Hotel.

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Ehre für den toten König

Und doch bleibt der Star, der nun seinen 90.Geburtstag feiern würde, in seiner Heimat gegenwärtig. Amerika feiert den Jungen aus Tupelo bis heute als King of Rock’n’Roll. Kein Anwesen ausser dem Weissen Haus wird so oft besucht wie Elvis’ Villa Graceland in Memphis. Ohne Widerspruch zu ernten, kann der hellsichtige Politberater James Carville sagen, dass «wir noch immer keine Ahnung haben, wie stark er die Kultur Amerikas prägte». Auf Englisch klingt es kraftvoller: «We still have no idea how hard he hit American culture.»

Carville sagt das im Dokumentarfilm «The King» (2017) von Eugene Jarecki, einem der besten Porträts des Künstlers im Kontext seiner amerikanischen Heimat. Der Film interpretiert Elvis’ unbändiges Talent als Ausdruck eines jungen Landes, dessen Musik sich in seiner multikulturellen Vielfalt entwickelte als Protest durch Bewegung.

Aber auch der Niedergang des Künstlers lässt sich metaphorisch deuten, und es geht gespenstisch gut auf im Film, dass sein Regisseur Elvis’ fette Jahre in den Rentnerbiotopen von Las Vegas mit dem Aufstieg von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gegenschneidet. «Wenn Elvis Presley eine Metapher ist für Amerika», kommentiert ein junger, ungenannter Afroamerikaner im Film, «dann sind wir auf dem besten Weg dazu, einer Überdosis zu verfallen.» Er klingt erschrocken über seine eigene Diagnose.

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